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Gesellschaft

Führt bedingungsloser Gehorsam zur Gefährdung der Demokratie?

Auch wenn jedem die Bedeutung des Wortes geläufig sein sollte, hier die Definition laut Wikipedia:

Gehorsam ist das Befolgen von Geboten oder Verboten durch entsprechende Handlungen oder Unterlassungen.

Gehorsam bedeutet die Unterordnung unter den Willen einer Autorität, das Befolgen eines Befehls, die Erfüllung einer Forderung oder das Unterlassen von etwas Verbotenem. Die Autorität ist meistens eine Person oder eine Gemeinschaft, kann aber auch eine Ideologie, ein Gott oder das eigene Gewissen sein. Man kann zwischen freiwilligem und erzwungenem Gehorsam unterscheiden. Gehorsam kann von einer rein äußerlichen Handlung bis zu einer inneren Haltung reichen.“

Laut Einschätzung der meisten anderen Nationen sind gerade die Deutschen besonders regelfixiert, sprich gehorsam. So ist es für sie auch kein Wunder, dass man hier von den Einheimischen drauf hingewiesen wird, man solle gefälligst nur bei grün über die Ampel gehen, den Müll richtig trennen, oder mit dem Fahrrad schön rechts auf dem Radweg stehen bleiben.

Die Amerikaner unterstellen den deutschen Bürgern offensichtlich sogar eine Zwangsstörung, was das Befolgen von Regeln angeht. So schrieb die Berlin-Korrespondentin der New York Times:

„Die Deutschen leiden unter einer „Obsession“. Jeder, der jemals Zeit in Deutschland verbracht hat, ist baff angesichts der reflexhaften Regelbeachtung, der tadellosen Ordnung seiner vielen kleinen Städte …“

Ein Autor der taz schreibt selbstironisch:

„Entgegen einem weit verbreiteten Klischee sind die Deutschen sehr flexibel, wirklich nicht weniger als andere Nationen. Es muss aber einen geregelten Rahmen dafür geben.“

Im 2014 erschienen Buch „Wider den Gehorsam“ von Arno Gruen(Schriftsteller, Psychologe und Psychoanalytiker), wird festgestellt, dass es allerdings nicht nur der Deutsche ist, der sich als gehorsam erweist. So wird hier ausgeführt:

„Lange bevor wir sprechen können und sich unser Denken organisiert, müssen wir lernen, gehorsam zu sein und unsere Gefühle zu unterdrücken. In allen Lebensbereichen erzwingt unsere Zivilisation einen reflexartigen Gehorsam. Zugleich belohnt sie ein Gruppendenken, das ein selbstbestimmtes, freies Denken unmöglich macht. Wir selbst halten uns nicht für gehorsam und erkennen nicht, dass die Idealisierung des Unterdrückers ihm Macht über uns verleiht. Es ist höchste Zeit, gegen die Kultur des verschwiegenen Gehorsams zu revoltieren: Nur so können wir die Demokratie stärken und besser miteinander leben.“

Dieser These folgend, stellt sich die Frage ob Gehorsam tatsächlich eine Gefahr für die Demokratie sein kann?

In einem 2015 mit Konstantin Wecker geführten Interview, äußerste dieser sich folgendermaßen:

„Gehorsam ist die größte Gefahr für die Demokratie. (…) Wir müssen aufklären, dass die Demokratie gefährdet ist, wenn Konzerne das Sagen haben. Ich bin noch radikaler, ich würde am liebsten jeden Konzern zerschlagen. Es braucht keine Konzerne. Ich bin überhaupt nicht gegen Unternehmer, es gibt tolle Mittelständler. Aber die Großkonzerne, die beteiligen sich nicht an der Gesellschaft, die saugen sie nur aus, weil es ihnen ausschließlich um Gewinnmaximierung geht. Eine auf Shareholder Value angelegte Unternehmenspolitik wird immer ausschließlich und rücksichtslos versuchen, den Kurswert der Aktien und damit den Marktwert des Gesamtunternehmens zu erhöhen.“

Da Wecker aber nicht weiter erklärt, was die Konzerne mit Gehorsam und der Gefahr für die Demokratie zu tun haben, könnte man Aussagen vom im 16. Jahrundert lebenden französischen Richter Etienne de la Boétie als Begründung für diese Annahme heranziehen:

„Nicht die Rute bringt Menschen zum Gehorsam, sondern die freiwillige Unterwerfung. Nicht rohe Gewalt erklärt die Tyrannei der Machthaber, sondern freiwillige Knechtschaft. (…)

Alle Arten von Regeln, einschließlich tyrannischer, basieren auf freiwilliger Unterwerfung. Menschen verloren einst ihre Freiheit entweder durch äußere Eroberung oder durch innere Korruption. Dann folgte eine Generation nach der anderen, die nichts mehr über Freiheit und ihre Bedeutung wusste. Die Unterwerfung ist zur Gewohnheit geworden. (…)  Mit der Zeit gehen die Spuren des Wissens über die Freiheit verloren und es bleibt nur die Erfahrung der Knechtschaft übrig, als wäre es die natürliche Art der menschlichen Existenz. (…)

Angstmache dient als Herrschaftsinstrument. Notlagen stabilisieren die Macht. Eine systematische Propaganda der Angst zählt zu den effektivsten Instrumenten, eine bestehende Herrschaft aufrecht zu erhalten. Angst ist die Nahrung des Staates. (…)

Neben Angst dient die Ablenkung dazu, die bestehende Herrschaft gegenüber dem Anspruch auf Freiheit zu schützen. Die Herrscher wissen das und sorgen für Ablenkung mit Brot und Spielen. Die Erheiterung und Lustbarkeit, die mit den Ablenkungen einhergehen, bringt den Widerstand gegen die Herrschaft zum Erlöschen und führt die Mehrheit der Menschen in den Zustand der emotionalen Erschöpfung, so dass keine Energie mehr für Widerstand bleibt. Man verausgabt sich bei den Vergnügungen. Es bleibt keine ausreichende Zeit und Kraft mehr für den Kampf gegen die Unterdrückung.“

Gerade die letzten beiden Absätze sollte einem in den heutigen Zeiten äußerst bekannt vorkommen und zu Denken geben. So wurde in den letzten zwei bis drei Jahren ständig die Angst vor einem Virus geschürt, die mittlerweile nur noch vor der Angst eines dritten Weltkrieges getoppt wird. Als Ablenkung dienen Netflix, Amazon und die Bundesliga.

(Bedingungsloser) Gehorsam führt, wie oben beschrieben, zu einem Verlust der Freiheit. Der Verlust der Freiheit impliziert Tyrannei, welche die totale Abwesenheit der Demokratie darstellt. Folgerichtig sollte der Mensch vorsichtig sein, wann er gehorsam ist, ob er immer gehorsam ist und vor allem, gegenüber wem er gehorsam ist. Sicher hat niemand etwas einzuwenden gegen einen Gehorsam, der zu unserem eigenen Besten ist, allerdings hat nicht jeder Entscheidungsträger (Politiker) das Beste seiner Mitmenschen im Sinn – sind doch gerade Politiker eher fragwürdige und konzerngelenkte Autoritäten (siehe: Was ist Autorität?).

Und die Lösung des Problems? Auch hierzu hatte Boétie eine Meinung:

„Es ist nicht notwendig, den Tyrannen gewaltsam zu stürzen. Was getan werden muss, ist das Fundament der Tyrannei zu entfernen. Die Tyrannei beruht nicht auf Gewalt, sondern auf Unterwerfung. Um die Tyrannei loszuwerden, müssen die Menschen ihre freiwillige Knechtschaft beenden. Es ist nicht der Tyrann, der sich in seine Position versetzt und darin bleibt, sondern die Menschen, die sich ihm unterwerfen. Es sind die Menschen, die das Monster füttern. Die Menschen müssen aufhören, Opfer, Hingabe und Götzendienst darzubringen, und der Tyrann wird von selbst fallen.“