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Können wir Realität und Fiktion heutzutage noch unterscheiden?

Wer kennt sie nicht, die lustigen Fotos, auf denen eine junge Frau den schiefen Turm von Pisa stützt, jemand die Sonne in der Hand hält oder der beste Kumpel vermeintlich ein Fleischermesser im Kopf stecken hat. Harmlose Bildchen – witzige Spielereien. Jeder von uns weiß, wie er solche Bilder einzuordnen hat, das haben wir schließlich mit der Zeit gelernt und außerdem ist es nur allzu offensichtlich. Aber was ist mit anderen Bildern oder Filmen? Wie sieht es aus in der Welt der Medien – können wir tatsächlich Fiktion von Realität unterscheiden?

Zieht man Wikipedia zu Rate, so hat man unter Medienwirklichkeit folgendes zu verstehen:

„Indem Medien die Wirklichkeit beobachten, diejenigen Ausschnitte auswählen, die sie als relevant erachten, und dem Publikum diese Ausschnitte präsentieren, konstruieren sie eine spezifische Medienwirklichkeit. Somit umfasst die Medienwirklichkeit die Gesamtheit der von den Medien veröffentlichten Texte und Bilder. (…) Dadurch, dass die Welt nicht mehr primär über den unmittelbaren körperlichen Kontakt, sondern weitgehend über die mediale Vermittlung erfahren wird, spricht man hinsichtlich der Medienwirklichkeit von einer reduzierten Wahrnehmung, da man diese, anders als die primäre Wirklichkeit, nicht riechen oder anfassen kann.“

Wenn die Medien uns die Ausschnitte der Wirklichkeit präsentieren, die sie für relevant halten, könnten dann nicht wichtige Informationen verloren gehen? Auch wenn wir hier keine Absicht unterstellen – wer entscheidet, was relevant ist? Ist dies nicht von Person zu Person unterschiedlich? Von Situation zu Situation unterschiedlich? Wir haben größtenteils nicht einmal ansatzweise die Möglichkeit zu überprüfen, was uns gezeigt wird.

Die Internetseite handysektor.de schreibt dazu:

„Die Medienrealität zeigt aber immer nur einen Ausschnitt der Realität und kann Tatsachen verschleiern oder auch dazu dichten. Vor allem wenn du nicht damit rechnest, dass hinter den Kulissen getrickst wird, entgeht dir sicher schnell die ein oder andere Täuschung.“

Dies vorausgeschickt, sind wir tatsächlich mündig genug, alle Informationen, die wir bekommen, richtig einzuordnen?

Schauen wir uns die Medienwelt von TikTok, Instagram oder Facebook an. Wie viele junge Leute bloggen und posten tagtäglich in diversen Bildern und Filmchen über ihr Leben. Dabei nutzen sie die neusten Filter, um Pickel im Gesicht verschwinden zu lassen und die Haut glatter erscheinen zu lassen. Dunkle Augenringe werden kurzerhand wegretuschiert und noch ein bisschen Make-up hinzugefügt. Die Augenfarbe wird etwas blauer, die Haare etwas dunkler und sogar die Figur kann man künstlich perfektionieren. Aber nicht nur in sozialen Medien wird auf diese Weise gemogelt, sondern auch im Fernsehen. Schaut man sich die Superstars oder Germany’s next Topmodel an, so erscheinen alle makellos und wie aus einem Traum. Nun mögen diejenigen unter uns, die schon eine Weile aus der Schule raus sind, hinter diese „Fakes“ blicken und ein müdes Lächeln für diese überhöhte Selbstdarstellung übrig haben. Aber wie sieht es bei der Jugend aus?

2022 fragte das Statistik-Portal Statista wie Jugendliche mit ihrem Aussehen zufrieden sind. So sind es im Durchschnitt bei den Mädchen zwischen 11 und 17 Jahren nur 56,3%. Bei den Jungen hingegen sind es immerhin 69,3%.

Ob dies daran liegt, dass die Jugendlichen – vor allem die Mädchen – den aufgehübschten Bildern im Internet mehr Glauben schenken, als ihren eigenen Erfahrungen? Würden sie sich in ihrem privaten Umfeld genauer umsehen, so würden sie sicher feststellen, dass nur die wenigsten, bis gar niemand, so aussieht, wie die Damen und Herren auf Instagram und Co.

Der Fairness halber ist zu erwähnen, dass dieses Problem neben den Jugendlichen doch auch einen Teil der Erwachsenen betrifft. So betrifft eine Körperdysmorphe Störung ca. 15% der Patienten, die sich in Deutschland, zwecks Schönheits- OP, jährlich unter das Messer legen. Offensichtlich sind also nicht nur Jugendliche für die manipulierten Bilder in den Medien anfällig.

Aber nicht nur beim Thema Aussehen, gaukeln uns die (sozialen) Medien eine Realität vor, die es so gar nicht gibt. Auch beim Thema Sexualität oder bei so etwas Banalem wie Urlaubsphotos wird kräftig übertrieben oder sogar in die Trickkiste gegriffen.

So gibt es mittlerweile – auch dank der heutigen modernen Computertechnik, oder sogar schon auf vielen Handys – genügend Möglichkeiten, um Bilder (oder Filme) so zu verändern, dass sie eine ganz andere Aussage enthalten als die Wirklichkeit.

Einige Techniken diesbezüglich sind:

  • nur Ausschnitte des eigentlichen Bildes zeigen
  • Teilbereiche des Bildes umfärben
  • Retuschieren
  • Nachträgliches Hinzufügen
  • Szenen komplett stellen
  • Größenverhältnisse oder Blickwinkel ändern
  • Falsche Bilder mit den getoffenen Aussagen verknüpfen

Sehr ans Herz legen kann man hierbei eine Photostrecke vom Spiegel von 2008, in der einige dieser Techniken anhand von wirklichen Geschehnissen, aufgezeigt werden.

Wer schon einmal an einer Online-Konferenz teilgenommen hat, hat bestimmt die schönen Hintergründe einiger Teilnehmer bemerkt. Wer nicht möchte, dass man bei seinen Sitzungen den Hintergrund im eigenen Arbeitszimmer sieht, der benutzt einen vom System bereitgestellten Hintergrund und „befindet sich“ somit evtl. gerade am Palmenstrand oder im Regenwald. Wenn es also schon so einfach ist, was ist noch so alles möglich?

Schon 2017 fragte der britische Mirror: „Können Sie erkennen, was auf diesen Bildern gefälscht ist?“ Antwort: „Mehr als die Hälfte der Befragten konnte es nicht zuordnen.“

Die Autorin einer Studie mit 707 Teilnehmern tätigte folgende Aussagen und kam zu einem erschreckenden Schluss:

Die Hauptautorin Sophie Nightingale, Doktorandin an der Universität Warwick, sagte:

„Unsere Studie ergab, dass die Menschen zwar besser, als nur durch Zufall, beim Erkennen und Auffinden von Bildmanipulationen abschneiden, aber bei weitem nicht perfekt sind. Dies hat ernste Auswirkungen, da die Menschen täglich über soziale Netzwerke, das Internet und die Medien einer großen Anzahl von Bildern – und möglicherweise gefälschten Bildern – ausgesetzt sind. Dieses Phänomen könne sowohl die nationale Sicherheit als auch die Demokratie gefährden. Die Zunahme der Fotomanipulation hat Auswirkungen auf fast alle Bereiche, von der Strafverfolgung und der nationalen Sicherheit bis hin zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Politik, Medien und Werbung. Bilder haben einen starken Einfluss auf unsere Erinnerungen. Wenn Menschen also nicht zwischen echten und gefälschten Details auf Fotos unterscheiden können, könnten Manipulationen häufig das verändern, was wir glauben und woran wir uns erinnern.“

Auf der Homepage „Medien in die Schule“ betrieben von, u.a der FSM (Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Dienstanbieter) gibt es eine 64-seitige Ausarbeitung, zu Unterrichtszwecken, über die Wirkung der Medien auf den Rezipienten. Unter dem Absatz „Glaubwürdigkeit und Vertrauen“ ist zu lesen:

„Am Beispiel von Nachrichtensendungen in totalitären Regimen wird schnell klar, dass Berichterstattung nicht unbedingt etwas mit der Darstellung von Wirklichkeit zu tun hat. Manch gut recherchierter Spielfilm über die Nazizeit hat sehr viel mehr mit der Vergangenheit zu tun als die dokumentarisch aufgemachten Kriegswochenschauen in den Kinos oder die Nachrichten, die die vom Regime kontrollierten Medien boten. Auch das Informationsangebot kann die Wirklichkeit völlig verzerrt darstellen: einerseits durch die persönlichen Überzeugungen der an der Produktion bzw. Veröffentlichung von Nachrichten beteiligten Personen, und andererseits durch bestimmte Interessen des politischen oder kommerziellen Systems. Dies betrifft nicht nur die Berichterstattung in totalitären Systemen. Vor anstehenden Wahlen oder bei Markteinführung neuer Produkte besteht bei den Verantwortlichen wenig Interesse daran, über problematische Produktionsbedingungen, künftige Kosten und Konsequenzen unpopulärer oder auch populistischer Entscheidungen zu berichten. Öffentliche Diskussion und Meinungsbildung lassen sich daher unter Umständen durch das Angebot an Pressemeldungen und Nachrichtenthemen beeinflussen.“

Schaut man nun einen Artikel des Tagesspiegels von 2009 an, so findet man ähnliche Aussagen über die Berichterstattung der Öffentlich Rechtlichen Sender in Deutschland. Der Tagesspiegel selbst wählte als Überschrift für seinen Artikel den Titel „Propaganda – oder Pannen in Serie?“

Im Artikel selbst, geht es darum, wie Teile der deutschen Medien Bilder nutzen, um ihre Aussagen zu untermauern, wobei die Bilder in Wirklichkeit jedoch gar nichts mit der beschriebenen Situation zu tun hatten. So wurden im Russland-Ukraine-Konflikt 2009 bei ARD und WDR Bilder von russischen Panzern abgebildet, die angeblich in der Ukraine fuhren, obwohl die Bilder schon ein Jahr zuvor aufgenommen wurden, und zwar in Georgien. Auch hat die ARD offensichtlich ein Video veröffentlicht, welches einen Hubschrauberabschuss in Syrien zeigte, dieses aber als Abschuss eines Hubschraubers in der Ukraine deklariert. Selbst wenn die Panzer tatsächlich in der Ukraine fuhren und auch tatsächlich ein Hubschrauber in der Ukraine abgeschossen wurde, so ist es zumindest fragwürdig, wen man zur Untermauerung dieser Tatsachen falsche Bilder benutzt.

Wir alle wissen, dass Bilder Emotionen auslösen – sowohl negative, als auch positive. Dies haben auch die Forscher der Universität Leipzig nachgewiesen. Die Emotionen werden sogar ausgelöst, wenn die Bilder nur kurz oder ohne Hundertprozentige Aufmerksamkeit wahrgenommen werden. Was nun solche Photo-Verwechslungen angeht, möchte man sich die Folgen nicht unbedingt ausmalen. So hat z.B einmal der Spiegel Bild-Zeitung ein Photo eines Mannes veröffentlicht, der angeblich der Messer-Killer von Würzburg war. Leider hatte sich der Spiegel mit dem Photo geirrt. Man darf nur hoffen, dass der Betreffende dadurch keinen Schaden davon getragen hat.

Die Frage, die der Tagesspiegel in Bezug auf die Berichterstattung der Sender stellt, ist also berechtigt. Handelt es sich um Propaganda, oder passieren hier „nur“ Fehler?

Eine weiterführende Lektüre in diesem Bereich wäre der Linguist Noam Chomsky, der zusammen mit dem Ökonom und Medienanalyst Edward S. Hermandas Propagandamodell entwickelte. Die Theorie dieses Modells besagt laut Wikipedia:

„Dass große Medienkonzerne ein nicht verschwörerisch agierendes Propagandasystem bilden könnten, das fähig sei, ohne zentrale Steuerung einen Konsens im Interesse einer von den Autoren beschriebenen gesellschaftlichen Oberschicht herzustellen und die öffentliche Meinung über Agenda Setting und Framing entsprechend den Perspektiven dieser Oberschicht zu formen, während gleichzeitig der Anschein eines demokratischen Prozesses der Meinungsbildung und Konsensfindung gewahrt bleibe.“

Daran, dass es mittlerweile schon den Beruf des Medien- oder Bilderforensikers gibt, erkennt man jedenfalls, wie schwierig es tatsächlich heutzutage ist, Realität von Fiktion zu unterscheiden. Um es mit den Worten des britischen Journalisten Harold Evans auszudrücken: „Die Kamera kann nicht lügen, aber sie kann ein Mittel zur Unwahrheit sein.“

Kein Bild aber kann die Wirklichkeit ersetzen. Folglich bleibt als Fazit nur zu sagen: Wir müssen mehr als vorsichtig sein, wenn wir uns eine Meinung aufgrund von Nachrichten oder Beiträgen in den (sozialen) Medien bilden wollen. Alles, was man an Informationen zu Gesicht bekommt, muss differenziert betrachtet werden. Da wir nicht die Möglichkeit haben alles selbst zu verifizieren, bleibt eine gewisse gesunde Grundskepsis wohl angebracht.